Das Schweizer Eishockey hinterließ im Hauptrunde der WM 2021 in Lettland einen hervorragenden Eindruck, erreichte aber in der Endabrechnung nicht die höchsten Ziele, die es sich gewünscht hatte. Nach einer unerwarteten Niederlage gegen Deutschland (2:3) im Viertelfinale wartet das Land des Helvetischen Kreuzes weitere zwölf Monate auf einen durchschlagenden Erfolg. Zwei lokale Experten – Coach Fabio Schumacher (EVZ Academy spielt im zweithöchsten Swiss Leauge) und ein renommierter Sportjournalist Kristian Kapp diskutierten über Eishockey in einem der reichsten Länder Europas. „Für mich ist etwas entscheidender als die Anzahl der Legionäre: Der Salary Cap respektive das Financial Fairplay. Kommt es überhaupt? Wenn es kommt: Wie hoch wird die maximale Lohnsumme sein? All das könnte einen grösseren Einfluss haben,“ erklärt Kristian Kapp vom Tamedia (Tages-Anzeiger, Sonntags Zeitung, Berner Zeitung, Der Bund, Basler Zeitung). (Foto: iihf.com).
Die Schweiz schied zuletzt mit Deutschland im Viertelfinale aus der WM, machte aber insgesamt einen guten Eindruck und das lokale Eishockey steigt allmählich. Vor zehn Jahren hat die Schweiz nur vier Spieler in NHL und daraus zwei Torhüter. Zehn Jahre später hat 15 Spieler in NHL und dazu erreicht zweimal WM Finale (2013,2018). Was ist verändert in deinem Eishockey?
Sportjournalist Kristian Kapp: „Ich denke, der Wandel begann vielleicht schon früher, mit dem Abstieg aus der A-Gruppe Mitte 90er. Es dürfte die Zeit des Umdenkens gewesen sein: Mehr Fokus auf Ausbildung des Nachwuchses, grössere Bedeutung der Nationalmannschaft. Bei Letzterem war der Einfluss von Ralph Krueger als Nationaltrainer gross, er war ein Antreiber der Professionalisierung der Nationalmannschaft mit klaren Regeln. Die Spielweise war nicht immer attraktiv, aber Krueger brachte die Schweizer Nationalmannschaft auf ein neues Level, vor allem bezüglich defensive Stabilität. Das war die Grundlage für den Wandel nach ihm mit Sean Simpson und vor allem Patrick Fischer, unter dem die Schweiz auch gegen die Grossen Nationen versucht, das eigene Spiel auch offensiv durchzuziehen. Ein weiterer erster grosser Schritt war der Weg von Mark Streit, der zeigte, dass auch Schweizer Stammspieler in der National Hockey League sein können. Und für einen weiteren entscheidenden Schritt sorgte Nino Niederreiter. Als er es gepackt hatte via CHL, gab es endlich auch einen richtig guten Schweizer NHL-Stürmer. Seither ist es normal, dass auch die jungen Stürmer davon reden, in die beste Liga der Welt zu kommen. Das gab es ein paar Jahre vor ihm eigentlich kaum, dass ein junger Stürmer (oder generell Spieler) das Ziel NHL offen aussprach.“
Coach Fabio Schumacher: „Wir hatten in den letzten paar Jahre gute Jahrgänge, jedoch denke ich wir arbeiten im Nachwuchs gut und die Infrastrukturen in den Vereinen sind besser geworden. Die Spieler gehen aber immer früher ins Ausland, da unsere Juniorenstufen nicht das höchste Niveau haben.“
In diesem Jahrzehnt hat nur Denis Malgin (2016) und Jonas Siegenthaler (2017) NHL geschafft über professionelle AHL, oder die direkt nach NHL gegangen. Alle anderen Schweize Spieler hat NHL durch CHL (juniors) oder Sweden (Kevin Fiala) geschafft. Bedeutet dass, Schweizer Eishockey weiss tolle Spieler ausbilden, aber die letzte schritt vor NHL müssen momentan Spieler im Ausland schaffen und nicht in erste National League oder zweite Swiss League?
Coach Fabio Schumacher:„Stand heute spielen die besten Schweizer Junioren nicht in unserer U20…weil die besten in der Canadian Hockey League (OHL, WHL, QMJHL) oder sonst im Ausland spielen, oder weil sie bereits im Erwachsenenhockey integriert werden. Also mit anderen Worten gesagt ist unsere Juniorenliga nicht gut genug! Es gibt immer wieder Spieler, die in jungen Jahren ins Ausland gehen (CHL, Schweden oder sonst wo) und kommen nach zwei Jahren zurück und gehen danach über die SL in die NL oder direkt in die NL. Im grossen und ganzen arbeiten wir gut in der Schweiz im Nachwuchsbereich. Die Ansprüchen an die jungen Spieler (Skills, Athletik, Hockey Sens, Schule, Ausbildung etc…) steigern sich kontinuierlich. Meiner Meinung nach können wir im Moment den Anforderungen für die Spieler was die Allgemeine Ausbildung betrifft, nicht genügend gewährleisten wie z.b in Schweden. Da in den meisten Klubs in der Schweiz die Ressourcen (Man Power) fehlen. Ich denke wir holen das maximum raus, was wir zu Verfügung haben.“
Sportjournalist Kristian Kapp: „Nein, das glaube ich nicht, auch wenn die Zahlen dafür sprechen. In den letzten Jahren wurde das Problem allerdings grösser, dass immer weniger junge Spieler überhaupt direkt den Sprung von der U20-Liga in die NL schaffen, der Unterschied wurde immer grösser. Dies, weil die besten Junioren in die Canadian Hockey League gingen. Zudem werden seit gut fünf Jahren immer häufiger Junioren in der NLB in den Farmteams (EVZ, GCK, Biasca, früher Winterthur) eingesetzt oder in der dritthöchsten Liga (MSL). Darum ist das Niveau der U20-Meisterschaft gesunken. Und viele Schweizer Junioren haben Angst, keine Chance in der NLA zu bekommen. Darum gehen sie in die CHL. Und sie hören immer wieder die Stories von Niederreiter, Hischier und Co. , die via CHL in die NHL kamen. Die Schweden beweisen aber, dass der Weg in die NHL via Canadian Hockey Leauge überhaupt nicht nötig ist.“
Aber die Hälfte des Schweizer Team an der Junioren-WM 2021 in Canada trat in der heimischen Juniorenliga oder in männlich NL oder SL. Bedeutet das, dass Schweizer Eishockey zu Hause keine schlechte Arbeit leistet?
Coach Fabio Schumacher: „Das Problem ist, dass die Spieler ins Ausland gehen weil unsere Juniorenliga nicht gut genug ist oder sie denken sie müssen den Weg übers Ausland machen – und das wiederum schwächt unsere U20 Niveau. Wenn die besten Junioren Spieler schon in der NL, SL oder ins Ausland gehen sinkt das Niveau in der U20. Jedoch haben die underage Spieler wieder mehr Möglichkeiten in einer höheren Stufe zu spielen. Die Frage ist auch, wie wäre es, wenn die U17 oder U20 Stufe geschlossen wird und man kann nur in der Stufe spielen wo der Spieler vom Alter her dazu gehört. Würde das Niveau ansteigen? Klar ist das es auch wichtig Junge Spieler schon beim Erwachseneneishockey einzubinden, wenn die Spieler soweit sind.“
Zwischen 2011 und 2020 wurden 24 Schweizer Spieler in NHL Draft eingezogen und 14 von ihnen stiegen in die National Hockey League auf. Diese 20 Spieler (vier haben noch nie in Nordamerika gespielt) verließen im Durchschnitt (18,3 Jahre) ihr eigenes Land. Ist diese Zeit in Ordnung oder zu früh?
Sportjournalist Kristian Kapp: „Ich glaube nicht, dass es eine Antwort auf diese Frage gibt. Die Entwicklung der Spieler ist sehr individuell. Pius Suter (Chicago Black Hawks) oder Gaëtan Haas sind aktuell der Beweis, dass auch ganz andere Wege in höherem Alter in die NHL führen können.“
Die Schweiz hat 18 800 Spieler unter 20 Jahren. Im Vergleich dazu hat die Slowakei 9 200 Spieler U20, was bedeutet viel mehr Konkurrenz im Land des Helvetischen Kreuzes. Ist das auch der Grund, warum ist Schweizer Eishockey vor Slowakisch?
Coach Fabio Schumacher: „Nein das denke ich nicht. Für unsere U20 Elit Spieler gibt es sehr viele Alternativen. Wenn es einen Spieler gibt, der früh gut ist und es nicht ins Ausland schafft geht er in ein SL Team oder er ist schon in der NL. Einige Spieler gehen auch über der dritte MSL. Die Geduld der Spieler fehlt manchmal um sich weiterzuentwickeln und deshalb möchten sie eine Stufe höher gehen.“
Das achte Land in der IIHF-Rangliste hat vier Agent mit NHL Lizenz: Daniel Giger, Andre Rufener, Gaetan Voisard, Margaretha van der Stroom Holdener. Hilft das für etablieren zwischen best Nationen in Welt und auch in NHL?
Sportjournalist Kristian Kapp: „Die Agenten helfen eher den Einzelspielern. Andre Rufener zum Beispiel hat für Niederreiter, Sbisa oder Bärtschi gute Deals ausgehandelt, als ihre Karrieren an einem Scheideweg waren. In wie weit das der Nationalmannschaft oder der Schweiz generell in der Weltrangliste hilft, kann ich nicht genau beurteilen. Es ist für die A-Nationalmannschaft sicher immer von Vorteil, wenn so viele Spieler wie möglich in der NHL spielen. Aber das gilt für alle Länder.“
Eines der reichsten Länder Europas hat nur 49 Arenas mit dem Dach und 111 Stadionen mit offenem Dach. Brauch Eishockey im Emmentaler Land neu Arenas mit dem Dach?
Coach Fabio Schumacher: „Es ist sicher besser mit einer geschlossenen Arena…in den letzten Jahren wurden immer mehr Stadien gebaut…und in Zukunft sind auch wieder welche geplant…ob das direkt eine grosse Auswirkung auf die Qualität hat kann ich nicht beurteilen. Was klar ist sind die NL Teams sind bei der Infrastruktur besser geworden.“